EINE KLEINE GESTE MIT GROSSER SIGNALWIRKUNG

 

EIN UNABHÄNGIGER GASTBEITRAG. Die Anfrage, ob ich vor einem ausverkauften Eishockeystadion (28. und 29. April 2015) die Bundeshymne singen wollen würde, löste in mir zunächst gemischte Gefühle aus. Angesichts der Polemik mit der die Änderung des Textes aufgenommen wurde, war mir bewusst, dass solch eine Performance mehr als Statement denn als ästhetischer Beitrag gelesen werden würde. Doch die anfänglichen Zweifel verflogen, sobald ich nach reichlichen Überlegungen genau darin meinen Auftrag sah. Dieser Artikel soll Ihnen meine Beweggründe näherbringen.

Ich bin Künstlerin. Ich schreibe Texte, Melodien, komponiere musikalische Arrangements und verfasse gelegentlich kulturwissenschaftliche Beiträge. Als Songwriterin und Wissenschaftlerin ist Sprache - auch in musikalischer Form - mein täglich Brot. Sprache, in all ihren medialen Ausformungen, kann als Sinnbild der geistigen Evolution des Menschen verstanden werden. Sie vermag es ein ästhetisches Empfinden hervorzurufen, Sinn und Identität zu stiften, ist Instrument des Denkens und der Macht. In ihrer gewöhnlichsten und zugleich essentiellsten Funktion muss man Sprache aber als Gebrauchsgegenstand verstehen.      

"Sprache ist ein Gebrauchsgegenstand."

Dieser Gebrauchsgegenstand ist soziokulturellen Veränderungen und Aktualisierungen unterworfen. Dies beginnt bei solch banal anmutenden Feinjustierungen wie den Rechtschreibreformen – den lexikalischen und auf zweiter Ebene auch semantischen Aktualisierungen der deutschen Sprache – und umfasst in ihren komplexeren Manifestationen die Anerkennung regionaler Dialekte als genuin kulturelle Äußerung. Sprache zeichnet nicht nur ein Bild der Realität in der wir leben, sie erschafft sie auch. Erfreulicherweise entwickelt sich unsere moderne Gesellschaft in Richtung einer zunehmenden sprachlichen Sensibilisierung, die auch im täglichen Wortgebrauch Rücksicht auf Randgruppen nimmt. Dieser respektvolle Perspektivenwechsel nährt u.a. ein Verständnis dafür, dass sprachliche Normierungen aufgebrochen werden müssen, um der Vielfalt unserer Gesellschaft gerecht zu werden. Deshalb gibt es „barrierefreie WCs“ und zweisprachige Ortstafeln, oder auch ein mittlerweile mehrere hundert Seiten umfassendes Wörterbuch der Baskischen Sprache, obwohl diese während der Jahrzehnte faschistischer Diktatur unter Franco verboten war. Der Wandel der Sprache ist Ausdruck eines toleranten Miteinanders: wir lesen unseren Kindern nicht mehr aus den „10 kleinen Negerlein“ vor und meiden die Perpetuierung xenophober Fremdinszenierungen durch Erzählungen wie „Hatschi Bratschis Luftballon“, dem „Kinder entführenden Muselmann“. 

"Keine Nation der Welt war stets ein statisches geographisches Gebilde, noch lässt sie sich in drei Sätzen beschreiben."

So verhält es sich auch mit dem Konstrukt Nation. Keine Nation der Welt war stets ein statisches geographisches Gebilde, noch lässt sie sich in drei Sätzen beschreiben. Unsere Ländergrenzen haben sich über die letzten Jahrhunderte etliche Male verschoben - verschiedene Völker haben das jetzige Österreich ihre Heimat genannt und tun dies zum Teil auch jetzt noch. Wir konstruieren eine Gemeinschaft anhand sprachlicher Definitionen durch streckenweise unzulänglicher Identitätsmarker, beschreiben, umschreiben, reden um den heißen Brei, denn was macht wirklich eine Nation aus? Die Menschen, die sie erbauen und täglich am Leben halten. Jeder einzelne von uns.

Die Nationalhymne erfüllt die Funktion einer symbolischen Manifestation des Konstrukts Nation. Durch eine Melodie und einen Text, die besagte Menschengemeinschaft anhand ihrer schönsten, besten, erhabensten und bemerkenswertesten Qualitäten und Besonderheiten beschreiben sollen, wird durch Kunst ein Zusammengehörigkeitsgefühl generiert. Eine gute Hymne vermag es, möglichst alle Mitglieder dieser Nation in zumindest ein paar Facetten ihrer Identität anzusprechen und in ihnen eben dieses Gefühl der „Heimat“ zu evozieren. Einer Heimat, die man mitgestalten möchte, derer man Teil sein will, wo man Wurzeln schlagen, Steuern zahlen und Kinder aufziehen möchte. Gerade weil die Hymne für alle da ist und alle Mitglieder dieser Nation repräsentieren soll, sollten auch „die großen Töchter“ ihren Platz in der österreichischen Nationalhymne finden. 

"Nationalhymnen sind immer Töchter ihrer Zeit."

Dem entgegen steht der Gedanke, der ursprüngliche Text der Hymne sei als „schützenswertes Kulturgut“ zu verstehen und könne daraufhin nicht geändert werden. Doch blickt man zurück in die Vergangenheit wird klar, dass Nationalhymnen immer Töchter ihrer Zeit und damit ständigen Veränderungen und Aktualisierungen unterworfen sind. Wir würden sonst trotz demokratischer Wahlen immer noch die Kaiserhymne singen, oder gar das Deutschlandlied, das die Hymne zur Zeit der nationalsozialistischen Besetzung ersetzt hat. Sprache braucht Veränderung, um lebendig zu bleiben -  um zur Revolution aufzurufen, um den Feudalismus und Absolutismus durch eine Republik zu ersetzen und den Kaiser metaphorisch zu Grabe zu tragen. Sprache dient als Motor der Veränderung, um uns von Fremdherrschaft zu befreien und zur Zeiten der Wiedererrichtung Österreichs zur eigenen kulturellen Identität zurückzufinden. Wenn eine Bundeshymne dazu einen Beitrag leisten kann, dann hat sie der Gesellschaft einen wahren Dienst erwiesen.

Hier gilt es eine Lanze für die Bundeshymne zu brechen: aus Respekt und Dankbarkeit all den Frauen gegenüber, die das Frauenwahlrecht erkämpft haben, den täglichen Grabenkampf für gleiche Bezahlung bei gleicher Arbeit vorantreiben, die sich für mehr Kinderkrippen, einen  Arbeitseinstieg für Mütter und frauenfördernde Maßnahmen in der Weiterbildung stark machen und am Ende des Tages vielleicht sogar ihren eigenen Töchtern vermitteln wollen, dass sie ein wertvoller und essentieller Teil dieses Konstrukts, das wir Österreich nennen, sind. Für sie alle ist die Aktualisierung eines verstaubten, unzeitgemäßen Textes aus den 1940er Jahren eine kleine Geste mit großer Signalwirkung, die unsere Gesellschaft ohne jede Form des Widerstandes unterstützen sollte.

Aber wenn ich mich meiner Eindrücke im Eishockeystadion zurückerinnere und an den alles übertönenden Chor aus 7.000 Frauen und Männern, die sich förmlich mit vollem Lungenvolumen gegen die Inklusion der „großen Töchter“ zu wehren schienen, sehe ich die Verwirklichung dieser Vision leider noch in weiter Ferne.

Clara Blume ist eine Wiener Künstlerin, Songwriterin und Kulturwissenschaftlerin. Sie hat Angewandte Kunst an der Universidad Complutense in Madrid studiert sowie Jazzgesang und Klavier an der Berklee College of Music Zweigstelle in Madrid gelernt. An der Universität Wien hat Blume im Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft diplomiert und beendet gegenwärtig ihre Dissertation über „die deutsche Intervention im Spanischen Bürgerkrieg“ am Institut für Romanistik. Im Mai letzten Jahres wurde ihr Solo-Debut „Here Comes Everything“ veröffentlicht, das von der Kritik durchwegs gelobt und positiv rezensiert wurde. Ihre Musik ist den Genres Singer/Songwriter und Art Pop mit Jazz und klassischen Einflüssen zuzuschreiben. Blume war 2015 in den USA, Deutschland, Spanien und Österreich auf Tournee und hat im Jänner diesen Jahres ihre zweite Album-Single „One Constant Thought“ veröffentlicht.
Photo Credit: Pia Clodi