IN DER JURY DES PROTESTSONGCONTESTS 2017

FM4 ORF.AT von Daniela Derntl, 13.02.2017

Ausverkauft und ausgelassen – so präsentierte sich der 14. FM4-Protestongcontest im Wiener Rabenhoftheater, der wie immer am 12. Februar, am Jahrestag des österreichischen Bürgerkriegs, stattgefunden hat.

Gewonnen hat Danyàl, der mit „Hosgeldiniz (Reiß die Arme auf) die meisten Punkte von der Jury – aber keine vom Publikum bekommen hat. Das liegt vielleicht daran, dass der Sänger aus Bayern in Österreich noch ziemlich unbekannt ist.

Zum Prozedere: Zehn Bands präsentierten ihre Protestsongs unter der launigen Ägide von Moderator Michael Ostrowski, und eine sechsköpfige Jury – bestehend aus der Autorin und Bachmann-Publikumspreis-Gewinnerin Stefanie Sargnagel, der Musikerin Clara Blume, der Journalistin Olivera Stajic von Der Standard, dem Wienerlied-Strizzi Voodoo Jürgens (der übrigens beim allerersten Protestsongcontest mit dem Song „Ich hasse deine Eltern“ mitgemacht hat), FM4-Chef-Controller Martin Blumenau und Gitarrist Peter Paul Skrepek von der Musikergilde. Auch das Publikum im Saal und vor den Live-Streams konnte quasi als siebentes Jury-Mitglied auf fm4.ORF.at mit abstimmen.

Die Jury über Tombadour:

„Ja, alles stimmt.“ meint Martin Blumenau, „Die Frage, besser traurig als einsam stellt sich aber momentan nicht in unserer Gesellschaft. Denn wir sind lieber traurig als einsam, und das ist schon ein fester Schas. Denn diese Art von Trauer führt zu einer kollektiven Depression. Ein bissl einsam ist schon besser als viel traurig.“

Stefanie Sargnagel: „Für mich muss ein Protestsong eine einfache, klare Botschaft haben. Ich als Prolo hab da überhaupt nichts verstanden. Literaturanalytisch kann man da sicher lange darüber reden und das interpretieren. Aber ich check viele Sprachbilder überhaupt nicht – was ist das Gedächtnisklo? Also ich mag da schon so klare Punchlines, das ist bei einem guten Protestsong wichtig. Ich sag nicht, dass es kein schönes Lied ist, aber mir fehlt das Kämpferische, Auffordernde.“

Clara Blume wiederspricht: „Ich glaube, dass ein Protestsong vorrangig zum Denken anregen sollte und da sind Sprachbilder eben das Medium der Wahl. Die Aufnahme hat mir schon sehr gut gefallen. Es ist sehr gut produziert. Die Sinnbilder sind sehr stark. Sie haben von sehr wuchtigen Alliterationen Gebrauch gemacht, was gut ist, wenn man rappt. Sie haben mich schon mit dem Klavier-Intro gehabt. Aus musikalischer Perspektive war die Band herausragend.“

Peter Paul Skrepek: „Das war der zweite Mensch am Schlagzeug heute Abend, der die Hauptstimme gesungen hat. Ich war begeistert davon. Aber mit diesen langen Worten werden sie viele nicht erreichen. Auch auf Ö3 wird das niemals gesendet werden?“

Martin Blumenau ist anderer Meinung: „Was für lange Worte: Mein Land ist Einbahn. Besser traurig als einsam. Was habt ihr daran nicht kapiert?“

Olivera Stajic: „Super Song, aber es ist zu wenig aggro, zu viel traurig.“

Voodoo Jürgens meint pragmatisch: „Wenn man mit der Steinhand was auf die Nüsse kriegt, ist das traurig.“

Die Jury über Simon & Jan:

Clara Blume: „Es hat mir sehr gut gefallen. Das war eine sehr solide Leistung. Der Humor ist sehr gut rübergekommen. Verdiente Finalisten. Sehr catchy und so soll ein Protestsong klingen.“

Stefanie Sargnagel: „An sich ein schönes Lied. Ich find es ganz hübsch. Aber Protestsong? Kann man sich vorstellen, dass den Text Zehntausende auf der Straße singen? Eher weniger. Das ist so eine Kritik an der eigenen Wohlstandslethargie. Mir fehlt das Appellierende, Auffordernde! Das ist so traurig auf der Couch liegen.“

Peter Paul Skrepek: „Das Lied war hinterhältig fies. Es war für mich eine Beschreibung, wie ein Überraschter den Tag überlegt. Der ist immer überrascht, aber es geht im ja gut."

Blumenau: „Scheiß Ironie. Scheiß Kabarett. Scheiß Kabarettismus. Der German-Defense-League gefällt das auch sehr sehr gut. Scheißdreck!“

Olivera Stajic: „Ich glaub der Martin hat was gegen Piefke. Mich hat der Song wahnsinnig überrascht. Zuerst hab ich gelacht, bis zu der Zeile, in der Lampedusa vorkam. Dann hätt ich am liebsten geheult.“

Voodoo Jürgens: „So gut ist mir die Nummer auch nicht eingefahren. Die Performance war gut, mit dem Text tu ich mir schwer.“

Die Jury über mieze medusa & tenderboy:

Voodoo Jürgens: „Klingt so routiniert, wie wenn ich zum Billa geh auf ein paar Semmerl.“

Stefanie Sargnagel: „Beim Rap mag ich schon lieber so destruktiven, bösen Gangster-Rap, aber das war so optimistisch, irgendwie auch ok.“

Clara Blume: „Ich muss Voodoo Jürgens recht geben, das war schon sehr routiniert. mieze medusa – eine große Szenepersönlichkeit. Bei der Performance waren zwar ein paar Fehler dabei, aber das macht bei der Routine nichts. Das Wort Postfaktisch war auch dabei und das war ein Wort des Jahres 2016. Somit ein sehr zeitgeistiges Thema, aber auf subtile Art und Weise aufbereitet. Die Metapher Mordor versus Auenland find ich auch wirklich leiwand. Der Refrain ist wirklich catchy. Poetisch und musikalisch Top.“

Peter Paul Skrepek: „Über die mieze sage ich nichts persönlich, denn sie ist eine Kollegin und Kollegen bewerte ich nicht. Sie war hervorragend. Aber wer erfindet solche Wörter wie postfaktisch?“

Die Jury über Schapka:

Clara Blume: „Ich bin sehr positiv überrascht. Absolut rohe Energie. Sie verstecken sich nicht hinter einem ironischen Bruch. Sie haben das Privileg der Jugend, und das darf ich aus dem Alter heraus sage, wo man noch ehrliche Empörung auf die Bühne bringen kann. Das war sehr direkt und rotzig. Das mit der Querness und den Quoten kann man sich mit 30 nicht mehr erlauben, in einen Text reinzuweben. Mit 19 aber schon!“

Steffi Sargnagel: „Ich bin gegen Freunderlwirtschaft – aber nachdem die Band den Spruch der Burschenschaft Hysteria „Auf ins goldene Matriarchat“ in der Bandbeschreibung übernommen hat - wird mich sicher nicht beeinflussen. Und mir ein Mitglied neulich auch ein Bier gezahlt hat, auch nicht. Aber sie werden gewinnen!“

Voodoo Jürgens: „Die Stimme der Sängerin fahrt ziemlich ein. Das kann man sich merken. Wenn das Matriachat übernimmt, wird das der Soundtrack dazu.“

Die Jury über Permaneder:

Stefanie Sargnagel: „Das Lied hat mich neben den ganzen Punk-Nummern am meisten angesprochen, das hat diesen schönen Protestlied-Pathos. Es war humoristisch und nicht doch zu kitschig. Mir hat das sehr gut gefallen.“

Martin Blumenau: „Ich als Arbeiterkind kenn mich ja nicht so gut aus mit Literatur und Lyrik – aber was ist da jetzt purer Heine? Redet das Kassamägdelein wirklich so deppert daher? Der wird ja nur Scheiße in den Mund gelegt. Die Mutter von der Freundin meines Sohnes ist auch Kassamägdelein – und deswegen muss ich mich da schon aufregen. War das Heine pur oder war da was selber gemacht auch?“

Olivera Stajic: „Es war wohl eine Mischung aus dem deutschen Wintermärchen und der Internationalen für ganz Blöde. Bis zur Hälfte des Liedes war ich total begeistert, aber zum Schluss war es mir zu versöhnlich. Es fehlt mir das Aggressive zum Schluss. Für die neue Internationale wird’s nicht reichen.“

Voodoo Jürgens: „Die Band gescheppert – wie Def Leppard.“

Clara Blume: „Ich fande das Heinrich Heine Gedicht sehr schön aktualisiert. Mein Herz haben sie gewonnen mit ihrer Sozialkritik. Ich würde nicht so sehr ins Gericht gehen mit der Band. Empörung um der Empörung Willen – Martin Blumenau?“

Martin Blumenau: „Wer die Supermarktkassiererin als die Blöde der Gesellschaft hernimmt, hat bei mir sowieso ausgeschissen!“

Die Jury über Fichtenharz:

Olivera Stajic: „Ich kann mit der Aneinanderreihung von Stichworten wenig anfangen. Eh nett. Kritik an der Wohlstandsgesellschafts – bla. Reißt mich nicht vom Hocker.“

Blumenau: „Schönes, nettes Lied. Aber Protest – hab ich nicht wirklich gehört.“

Voodoo Jürgens: „Der Schlag mit dem Hammer aufs Scherben-Sackerl - war richtig gut.“

Peter Paul Skrepek: „Das war sehr gut. Das hat mich etwas an David Byrne in seiner frühen, wilden Zeit mit den Talking Heads erinnert. Stop Making Sense.“

Clara Blume: „Ich hab es als dadaistische Performance empfunden. Die Band geht in die richtige Richtung. Aber sie muss noch etwas bühnenerprobter werden. Aber es war schon mitreißend.“

Die Jury über Danyál:

Olivera Stajic: „Als Gastarbeiterkind bin ich natürlich total unvoreingenommen. Aber es hat mich wirklich sehr berührt. Ich hab mir gedacht, ich steh am Südbahnhof 1974 und die Leute sagen, geh bitte, schleichts euch. Sehr authentisch. Aber zum Schluss war es mir zu versöhnlich. Diese positiven Bilder und Utopien, ich glaub, das spielt es nicht."

Martin Blumenau: „Ich mag das schon, versöhnlich und Utopie.“

Voodoo Jürgens: „Mir hats getaugt. Ich war kritisch wegen Voice of Germany. Aber von der Thematik ist es eine Geschichte, mit der man sich auseinandersetzen muss.“

Stefanie Sargnagel: „Mir hat es auch recht gut gefallen. Das war ein recht massentauglicher Protestsong – aber mit einer Gastarbeitergeschichte, und die Kombi taugt mir. Ich lass auch gern raus, dass ich Prolokind bin, aber Gastarbeiterkind ist schon noch cooler.“

Peter Paul Skrepek: „Wunderbare Stimme, toller Sänger, großartige Produktion. Das ist absolut massentauglich.“

Clara Blume: „Es war nicht der beste Song des Abends, aber es war der beste Sänger des Abends. Sehr gut performt und meisterhaft intoniert. So eine Art von Pop gefällt mir eigentlich nicht, aber das war schon einfach geil.“

Punktevergabe:

Martin Blumenau vergibt fünf Punkte an Schapka, sieben Punkte an Danyál und neun Punkte an Tombadour. 
Stefanie Sargnagel vergibt fünf Punkte an Permaneder, sieben Punkte an Schapka und neun Punkte an Danyàl. 
Peter Paul Skrepek vergibt (nach Dankesworten an die Technik, Organisation und Moderation) fünf Punkte an Tombadour, sieben Punkte an Danyàl und neun Punkte an Simon & Jan. 
Olivera Stajic vergibt fünf Punkte an Simon & Jan, sieben Punkte an Permaneder und neun Punkte an Danyàl. 
Voodoo Jürgens vergibt fünf Punkte an Seralox, sieben Punkte an Permaneder und neun Punkte an Schapka. 
Clara Blume vergibt fünf Punkte an Permaneder, sieben Punkte an mieze medusa & tenderboy und neun Punkte an Tombadour.

Das Publikum entscheidet, wer den Protestsongcontest 2017 gewinnt und vergibt: 
fünf Punkte an Seralox, sieben Punkte für Post Period und neun Punkte für Permaneder.

Der eindeutige Sieger: Danyàl – wir gratulieren!