"Ich definiere mich als Künstlerin, nicht als Entertainer."

VON MANFRED HORAK, KULTURWOCHE 11.11.2016

Kulturwoche.at: Du hast mit "Here Comes Everything" ein beachtliches und mehr als beachtenswertes Debüt-Album veröffentlicht. Welche Erfahrungen hast du seither gemacht?  

Clara Blume: Vielen Dank für die Blumen, Manfred! Grundsätzlich wurde uns als Band das Glück zuteil, viele große und kleine Shows im In- und Ausland spielen zu können. Dies hat uns als Team zusammengeschweißt und neue Ideen für zukünftige Produktionen losgetreten. Einige dieser Konzerttermine sind vermutlich durch das enthusiastische Medienecho zu erklären. Allerdings reduzierte sich dieses vorrangig auf Printmedien und darin vor allem auf ein Künstlerportrait meinerseits. Leider gab es kaum wirkliche musikalische Kritiken. Das wiederum lässt sich darauf zurückführen, dass ich zwar als Künstler und 'Spokeswomen' in der Szene Respekt genieße, meine Musik jedoch weder Journalisten noch dem breiten Publikum bekannt ist. Damit kennt man die Künstlerin, jedoch nicht ihre Kunst. Zu meiner großen Ernüchterung wollte uns auch nach wiederholtem Versuch kein Radiosender unterstützen (mit der löblichen Ausnahme von Ö1). Dies hatte verheerende Auswirkungen auf den organischen Aufbau unseres Projektes. Das fehlende Airplay löste eine Spirale an negativen Entwicklungen aus, die mich als relevanten "Player" aus dem Musikgeschäft gänzlich ausgrenzten: Zunächst ist man für Bookingagenturen automatisch uninteressant, dem eigenen Label fehlt damit die Motivation für dein Projekt zu kämpfen, ohne Airplay generierst du keine relevanten Verkaufszahlen, da niemand deine Musik kennt, wodurch du wiederum keine Prestige-Preise gewinnen kannst, die dich für ein zweites Album "auf Schiene bringen". Zuletzt war es uns schier unmöglich landesweite Tourdaten aufzustellen, da mein Wirkungsbereich über Wien kaum hinausreichte.   
Mein Erklärungsmodell für diese überraschende Entwicklung kreist um zwei beunruhigende Systemfehler im österreichischen Musikbusiness: Einerseits habe ich in meinen 10 Jahren als Kulturförderer und Künstler in Österreich die verstörende Erfahrung machen müssen, dass die heimische Musiklandschaft lediglich zwei schablonenhafte Bilder der Weiblichkeit propagiert: das formbare Pop-Sternchen und die unkonventionelle Avantgarde-Künstlerin. Ich entspreche keiner der beiden Kategorien, womit meine Kunst in ein Niemandsland fällt, das in Österreich offenbar keine Förderstrukturen genießt. Zum anderen fehlt heimischen Musiksendern der Mut zur Veränderung; der Mut, überholte, ja gar im globalen Kontext anachronistische Strukturen aufzubrechen und damit Projekte zu fördern, die am internationalen Musikmarkt reüssieren könnten. Oftmals herrscht in Österreich der Wunsch, sich mit dem Mittelmaß zu begnügen. Die Angst vor Qualität und "vor der großen Geste" ist hierzulande tief verankert. Der Glaube an das "heimische Produkt" beschränkt sich auf den Deutschpop, der wiederum aus offensichtlichen Gründen im englischsprachigen Raum nicht Fuß fassen kann. Solange man als österreichische Künstlerin die Frage an den Kopf geworfen bekommt: "Wieso sollte ich dich spielen, wenn ich statt dir Adele spielen könnte?", sind unzählige Qualitätsprojekte hierzulande zum Scheitern verurteilt. 

Auf einer Drehbühne ein Konzert geben klingt nach großer Inszenierung. Wie ist die Idee entstanden, gereift, im Theaterambiente aufzutreten?   

Mein Bruder und Produzent Georg und ich haben unsere Musik von Anfang an als Gesamtkunstwerk verstanden und setzen sowohl musikalisch als auch visuell ein stringentes künstlerisches Konzept um. Dies äußert sich in aufwendigen Musik- und Videoproduktionen und einer inszenatorischen Komponente bei Live-Auftritten. Wir verfolgen hierbei die künstlerische Prämisse, das Konzert möge ein Erlebnis werden, das unter die Haut geht. Die anstehende Konzertinszenierung auf einer rotierenden Drehbühne in der WHITE.BOX des Off-Theaters entspricht damit genau unseren Vorstellungen.  

Die Stimme der Vernunft ist ein wünschenswertes Ideal. Der gesellschaftspolitische Graben in Österreich zeugt leider wenig Vernunft, vom Weltgeschehen ganz zu schweigen. Wie sehr beeinflusst dich all das in deinem kreativen Schaffen oder auch nicht?  

Ich definiere mich als Künstlerin, nicht als Entertainer. Damit akzeptiere ich willentlich die Verantwortung, gesellschaftliche Missstände zu thematisieren. Ich tue dies einerseits durch meine Kunst sowie durch meine persönlichen Stellungnahmen. Die Wirkungsmacht, die ein Song zu entfalten weiß, ist mit keinem anderen künstlerischen Medium vergleichbar. Leider nur nehmen wenige Songwriter diese unangenehme Verantwortung wahr, da sich oberflächliche Messages schlichtweg besser verkaufen. Damit tragen sie bewusst oder unbewusst zur Banalisierung unserer Entertainment-Gesellschaft bei. Wer wenn nicht die Figur des Künstlers kann ein gesellschaftliches Korrektiv, oder gar im wörtlichen Sinne "die Stimme der Vernunft" darstellen?   

Deine Musikerlaufbahn hast du 2016, konkret, in den letzten acht Monaten, auf Eis gelegt, um deine Dissertation "Vom Helden zum Bösewicht" über die deutsche Intervention im Spanischen Bürgerkrieg zu schreiben. Warum dieses Thema, einerseits, und andererseits, reizt es dich gleichermaßen Historikerin wie Musikerin zu sein?   

Das Thema hat mich gefunden: Ich behandle ein Kapitel spanischer Geschichte, das zum Teil auch Familiengeschichte darstellt und damit mein brennendes Interesse weckte. Zugleich stellt der Spanische Bürgerkrieg nach wie vor ein hochkontroverses und realpolitisch relevantes Ereignis dar, dass in der spanischen Gesellschaft noch nicht verdaut wurde. Für meine mentale Gesundheit war ein Rückzug vom täglichen Musikgeschäft nicht nur bitter notwendig, sondern vor allem auch heilsam. So sehr ich auch gerne meine beiden Leidenschaften als Kulturwissenschaftlerin und Musikerin weiterverfolgen würde, so werde ich mich wohl oder übel in nächster Zeit für eine von beiden entscheiden müssen. Wissenschaft und Kunst sind mittlerweile zwei hochkompetitive Branchen geworden. Wollte ich meine wissenschaftliche Karriere weiterführen, müsste ich meine musikalische zum Hobby verkommen lassen - und umgekehrt. Vor dieser Weggabelung stehe ich gerade. 

Rückblickend für dich: Ist es einfacher eine Dissertation zu schreiben oder ein Album zu machen?   

Ich denke, beim Schreiben meiner Dissertation hatte ich klarerweise den Anspruch eine sehr gute Leistung zu erbringen, jedoch war ich weit mehr emotional davon entkoppelt. Ich verstand mein 4-jähriges Doktoratsstudium eher als „arbeitssamen Urlaub vom Musikwahnsinn“. Im Vergleich dazu habe ich erst nach 10 Jahren ein Debüt-Album herausgebracht und fast 2 Jahre intensiv daran gearbeitet. Dabei galt es während der Musikproduktion eigene und fremde Erwartungshaltungen zu erfüllen. Diesen Druck empfand ich bei meiner wissenschaftlichen Arbeit keineswegs. Vermutlich bin ich in meinem Herzen mehr Künstler als Wissenschaftler.  

Hast du in den Dissertations-Monaten auch neue Songs geschrieben oder hast du in dieser Zeit tatsächlich quasi Urlaub von der Musik gemacht?   

Zu meiner großen Verwunderung verspürte ich während der finalen und intensiven achtmonatigen Schreibphase meiner Dissertation kaum künstlerische Impulse. Offenbar hatte ich einfach "einen anderen Chip" drinnen. Kurzzeitig machte ich mir sogar Sorgen, ob mein kreativer Quell versiegt sei, doch nach der Abgabe der Arbeit sprudelte es förmlich aus mir raus. Viele dieser neuen Songs werde ich auch am 17.11.2016 erstmals präsentieren.  

Einige meinen, große Ähnlichkeiten im Weltenlauf des frühen 20. Jahrhunderts mit dem Heute erkennen zu können. Wie siehst du das?   

Das entspricht einer sehr scharfen und meiner persönlichen Einschätzung nach auch zutreffenden Beobachtung. Angesichts erschreckender globaler gesellschaftlicher Entwicklungen fällt mir in letzter Zeit immer wieder ein Zitat von Otto von Bismarck ein, der die zyklische Bewegung generationaler Veränderung passend einfing: "Die erste Generation schafft Vermögen, die zweite verwaltet Vermögen, die dritte studiert Kunstgeschichte und die vierte verkommt vollends." Auf den historischen und kulturgeschichtlichen Kontext des 20. Jahrhunderts übersetzt bedeutet dies: die Nachkriegsgeneration der Babyboomer baute auf, ihre Nachkommen lebten in Wohlstand und Frieden, deren Kinder (wir) genießen eine globalisierte Welt unendlicher Möglichkeiten und beginnen in die Wohlstandsverwahrlosung zu verfallen. Gegenwärtig kreieren wir erneut einen idealen Nährboden für gewaltsame Konflikte vergleichbar mit dem "Wunsch nach Veränderung und Aufbruch verkrusteter Strukturen", der die Vorwehen des Ersten Weltkrieges kennzeichnete. Fragt sich nur, wie sich Generation Z entwickeln wird. Um deine Frage zu beantworten, ich bin sehr besorgt.  

Zum großen Graben, der Österreich zurzeit teilt: Was passiert, wenn Alexander van der Bellen die Wahl nochmals gewinnt? Was passiert, wenn Norbert Hofer die Wahl gewinnt? Welche begründete Wahlempfehlung sprichst du aus?   

Ich kenne kaum einen österreichischen Künstler, der sich nicht für den einen oder anderen Wahlkandidaten innerhalb seines Wirkungsradius starkgemacht hätte. Vergleichbar mit dem US-Wahlkampf, wenn auch auf minimaler Skala, sehe ich den österreichischen Präsidentschaftswahlkampf vorrangig als "Kampagne der Persönlichkeiten" und weniger der Inhalte. Das empfinde ich als problematische Entwicklung, die vor allem durch soziale Medien wie nie zuvor begünstigt wird. Das Phänomen des Populismus herrscht seit Menschengedenken in der Politik, jedoch ist es - wie wir seit dem Wahlausgang in den USA schmerzlich akzeptieren müssen - präsenter und vor allem effizienter als nie zuvor. Ein guter Freund meinte zum Ausgang der US-Wahl: "Menschen sehnen sich nach einfachen Lösungen auf komplexe Probleme." Trump führt uns die Entkoppelung von Bürger und Politik vor Augen. Hierzulande kämpfen wir mit derselben Problematik. Der österreichische Bundespräsident im Gegensatz zum Präsidentenamt in den USA erfüllt allerdings vorrangig eine repräsentative Funktion in der Welt. Ich bin daher der festen Überzeugung, dass Prof. Van der Bellen den einzig wählbaren Kandidaten darstellt, der als würdevoller Repräsentant Österreichs die Idee eines durch gemeinsame humanitäre und humanistische Ideale geschmiedeten Europas zu verteidigen weiß und der sich nicht vor der unangenehmen Aufgabe scheut, für ein mit Nationalismen, wirtschaftlichen Unsicherheiten und Flüchtlingsströmen konfrontiertes Europa zu kämpfen. Das Richtige ist in den wenigsten Fällen das Einfache. Verantwortungsvolle Politiker haben das verstanden. 

Was wünschst du dir für 2017?   

Ohne alarmistisch oder gar pathetisch klingen zu wollen: ich wünsche mir Weltfrieden. Viele weltpolitische Entzündungsherde scheinen gegenwärtig kurz vor der Eskalation. Ich wünsche mir außerdem mehr politischen Willen hierzulande, in politische Bildung und Aufklärung zu investieren, damit zukünftige Generationen nicht in die Populismusfalle tappen mögen. Damit muss sofort begonnen werden.   Ich persönlich wünsche mir Optimismus in mein Leben zurück. //